Volunteering Projektbericht | Woche 27. März-02. April 2023

Nachdem die Kinder am Montag zu ihren Familien in die Schulferien gegangen sind, hatten Dawa und ich nun Zeit für eine Aufgabe, auf die ich mich schon die ganze Zeit – mit etwas gemischten Gefühlen – gefreut hatte: Wir würden die Familien von Kindern besuchen, die gerne zu uns kommen wollten. Also ging es wieder auf’s Motorrad, mit dem man dank seiner Wendigkeit einfach schneller ist, und wir fuhren am ersten Tag Richtung Tibetische Grenze. Der erste Stopp war direkt an der Straße, an einem kleinem Haus dessen Wände aus Wellblech und Brettern bestand, Fenster gab es keine, dafür ein paar Bäume vor dem Haus. Empfangen wurden wir von der Mutter und ihrer 5-jährigen Tochter, die recht aufgeregt schien. Auch die Mutter schien etwas verunsichert, bat uns aber freundlich ins Haus, in dem ich von der Großmutter sehr genau beäugt wurde. Es gab 2 Stühle, außerdem eine für hier typische Holzbank, einen Ofen, mehr nicht. Natürlich bekamen wir gleich eine Tasse Tee, die wie immer sehr süß war – so ganz klappt das hier nicht mit meinem Vorsatz, in Nepal weitestgehend auf Zucker zu verzichten, ganz im Gegenteil! Nach etwas Gespräch auf Tamang bekamen wir dann auch einen Teller mit Essen, Maisbrei mit Brennnessel-Suppe. Das war dann mein drittes vollwertiges Essen seit dem Aufstehen, und es war noch nicht mal 11h. Was ich bisher über die Nepali hier gelernt habe ist, dass sie sehr gesellig sind, recht fröhlich und gerne und sehr viel Tee trinken und immer essen. Für mich ist das sehr gewöhnungsbedürftig, vor allem, nachdem ich gelernt habe, dass es sehr unhöflich ist, die angebotenen Speisen und Getränke auszuschlagen. 

Also aß ich den Maisbrei mit Brennessel, mit der Hand, Besteck gab es nicht. Das Mädchen schaute immer wieder neugierig zu uns, während die Mutter etwas zu ihrer Familie erzählte, das Dawa mir immer wieder übersetzte. Nicht die letzte Geschichte, die mich wirklich berührte: beide Eltern des Kindes sind Analphabeten und haben deshalb keinen Job, der ausreichend für die Familie einbringt, ganz zu schweigen davon, dass genügend Geld für die Schule der Kinder da ist. Es gibt in Nepal die Schulpflicht bis zur 8. Klasse und die Schule selbst ist kostenlos, allerdings übersteigen die Kosten für Schuluniform, Bücher und Schreibmaterial bei weitem die Mittel, die vielen Familien zur Verfügung stehen. Hinzu kommt, dass die Registrierung der Geburt eines Kindes nicht ganz so zuverlässig ist, wie das in Europa der Fall ist, denn häufig können uns die Eltern das Alter des Kindes nicht wirklich nennen oder geben an, dass ein Kind mit vollständigem Milchgebiss 7 Jahre alt ist. Bei der Familie, wo wir gerade zu Besuch waren, kam noch hinzu, dass der Vater als Alkoholiker nichts zum Einkommen der Familie beitrug und die Mutter durch den Anbau von ein paar Zitronenbäumen nicht ausreichend für die Familie verdiente. Ganz klar, das Mädchen sollte zu uns kommen, da waren Dawa und ich uns einig. Wir verabschiedeten uns und bekamen zum Dank einen Khatag, einen tibetischen Gebetsschal, überreicht. Dann noch ein kurzes Foto, und weiter ging es Richtung tibetische Grenze. Das wollte ich gerne sehen, und mir tat es ganz gut, einmal durchatmen zu können. 

Am frühen Nachmittag haben wir dann in Timure, die Grenzstadt zu Tibet, die alles andere als schön ist und voller bunter LKWs, die auf Waren aus China warten, eine weitere
Familie besucht. Vor dem Haus sah ich ein kleines Kind spielen, ich schätze es auf 2 Jahre. Naja, vielleicht 3 Jahre, die Kinder wirken hier alle etwas jünger auf mich. ‚How old do you think he is?‘ ‚Is that the child they want to send to school? He is no more than 3 years old!‘ ‚Family says he finished 5!‘ Im Leben war dieses Kind nicht Ende 5 und für die Schule noch längst nicht reif. Dann gab es eine Einschränkung ‚He finished 5 years in Tibetian calendar‘ also war er nicht älter als 4 Jahre, was ich immer noch für nicht ganz richtig hielt.
Nach etwas Diskussionen und meinem Beharren, dass der Junge noch viel zu jung für die Schule ist und im Leben keinen ganzen Schultag schafft, haben wir uns darauf geeinigt, dass der Junge nächstes Jahr bei uns aufgenommen wird. ‚The parents are disappointed, now they will have to pay for him 1 more year‘ Auch hier stieg ich wieder sehr belastet auf’s Motorrad, dass die Eltern ihr Kind liebten war offensichtlich. Dass sie trotzdem so jung schon alles versuchten, das Kind gut unterzubringen, außerhalb der Familie, zeigte die Not sehr
deutlich. 

Am nächsten Tag ging es in die andere Richtung, nach Dhunche. Die Straße wird hier zunehmend besser, was meinem Rücken und Beinen sehr gut tat. Wir sahen einen sehr aufgeweckten Jungen, der zu weit von der Schule weg wohnte, um sie täglich zu besuchen. Das Geld, um ihr Kind in eine Boarding School zu schicken, also ein in Nepal weit verbreitetes Internat, haben die Kinder nicht. Auch hier sagten wir die Aufnahme des Kindes zu, tranken den Tee aus und bekamen einen Schal als Dank. 

Dann ging es wieder weiter in die Berge, über die besagten Wege. Im Dorf eines unserer Kinder gab es ein weiteres Mädchen, dessen Mutter die Familie verlassen hatte, das Kind musste nun die Ziegen hüten und konnte nicht mehr zur Schule gehen. Sie war bereits 7 oder 8 Jahre alt, unsere Zusage kam also sofort, natürlich würden wir sie nehmen. Dann noch ein kurzer Abstecher zu Priya, ein Mädchen aus der 1. Klasse bei uns. Als sie uns sah, schaute sie zuerst etwas skeptisch, die Eltern begrüßten uns freundlich und baten uns zu Tee und Nudelsuppe rein (…) Ich sprach kurz mit Priya, die vertrauten Sätze und da kam eine dicke Umarmung und ein Kuss und sie zog mich raus und zeigte mir ihren Hund und ihre Geschwister. Das Spiel und Gespräch mit Priya tat mir auch wieder gut zwischendrin, und als wir bei Nudelsuppe und Tee saßen kam ein Nachbar vorbei, er hatte gehört, dass wir da sind. Er hatte eine Beinprothese und konnte nicht mehr richtig für seine Familie sorgen, die größeren Kinder waren alle über andere Stiftungen oder Sponsoren in Schulen untergebracht, nur das Kleinste ging nicht zur Schule, es war ca. 6 Jahre alt. Da es mittlerweile später war als gedacht, wollten wir aufbrechen, wir würden zurück kommen. Beim Verabschieden kam Priyas Mutter nochmal auf mich zu, mit einer Fanta mit Butterflocken auf dem Deckel, die hier ein Zeichen der Segnung und des besonderen Dankes sind. Also setzten wir uns wieder, tranken Fanta, wurden etwas unruhig, die Sonne verschwand hinter den Bergen. Im Dunkeln zu fahren ist nicht sehr ratsam, schon bei Tageslicht sind die Straßen nicht sehr gut befahrbar. Auf dem Rückweg hielten wir noch kurz an einer Hütte an, wir sollten ein Huhn für das Abendessen mitbringen. Nach kurzem Warten kam Dawa mit einer Tüte zurück und drückte mir den noch warmen Inhalt in die Hand, für meinen Rucksack. Am Abend gab es Chicken Dal Bhat. 

Den Rest der Woche haben wir uns beide erstmal etwas von den Strapazen der letzten beiden Tage erholt, mir taten Rücken und Beine weh. Ich habe alle Büroarbeit aufgeholt, die ich etwas vor mir hergeschoben habe, auch das gehört zu meiner Arbeit. Ich bin nach wie vor sehr beeindruckt von dem, was ich gesehen habe. Von der Armut samt ihren Begleiterscheinungen und der trotzdem unglaublichen Gastfreundschaft, die die Nepali mir alle entgegenbringen. Die nächsten 1-2 Wochen werde ich trekken gehen, ich habe meine Planung den Schulferien angepasst. Mal sehen, wie lange meine von Motorrad und ständigem Treppengehen stark beanspruchten Knie das durchhalten.