Volunteering Projektbericht | Woche 24.-30. April 2023

Endlich kamen die Kinder aus den Schulferien zurück und es herrschte wieder etwas mehr Leben bei uns. Es tat zwar ganz gut, einige Zeit ohne Unterbrechungen etwas Projektarbeit leisten zu können, oft saß ich mit Dawa im Büro und wir haben überlegt, was die nächsten Schritte sein sollten, um das Kinderheim voran zu bringen, aber so langsam fehlten mir die Kinder dann wirklich. Und so habe ich mich wirklich gefreut, als letzte Woche die erste Gruppe aus Tuman den Berg hochkam. Von der Terrasse des Kinderheims sieht man schon 15 Minuten im Voraus, wer kommt (bei Touristen dauert es eher 30 Minuten, bis sie es von der ersten Kurve bis hoch zu uns geschafft haben), und mich hat man offensichtlich auch gesehen, denn schon von weit her hörte ich meinen Kinder „Simone! Sister!!“ Im Kinderheim gab es dann einen große Begrüßung – natürlich mit Tee und Essen – und die meisten Eltern hatte Schals dabei zum Dank, auch für mich, die ich im Namen von Nepal Aid gerne angenommen habe. Alle Eltern sind ausgesprochen dankbar und erleichtert, dass ihren Kindern Bildung ermöglicht wird, und damit der einzige Weg aus der Armut. Und auch die Kinder haben Träume, Palmu träumt davon, Englischlehrerin zu werden, Tsering Dolma möchte Ärztin werden, und Yangzom hat jetzt schon den richtigen Stechschritt, um sich einmal als Polizistin Eindruck zu verschaffen. Die beiden Jungs, die jetzt in der 2. und 3. Klasse sind, träumen eher davon, als Busfahrer oder Hubschrauber Pilot Karriere zu machen. Auch das wäre nicht möglich, wenn beide nicht lesen, schreiben und rechnen könnten. Und das Englisch, das auch der kleine Ngawang und Phurpu mittlerweile so beherrschen, dass wir sehr viel Spaß miteinander haben, hilft vielleicht dabei, noch ganz andere Träume wahr werden zu lassen. Vor einiger Zeit hatte ich hier ein Gespräch mit einem Guide, der zwei Israelis ins Langtang Tal führte. Ein Satz von Sohit hat mich sehr betroffen gemacht und ich bin froh, dass meine Kinder alle eine andere Perspektive haben können: „Our parents could not afford for us to finish school, so we had to burry our dreams and work to survive“ Ich wünsche mir sehr, dass meinen Kindern allen Flügel wachsen können und sie ihre Träume, zumindest teilweise, wahr werden lassen können. 

Wie bereits im letzten Bericht geschrieben kamen die Kinder alle an unterschiedlichen Tagen reingetröpfelt. Und manche kamen auch gar nicht. Trotz des unbedingten Wunsches, ihre Kinder bei uns in die Schule zu schicken, kamen 3 neu ausgesuchte Kinder nicht am angekündigten Tag, und auch am Folgetag tauchte niemand auf. Also schwang sich Dawa nochmal auf“s Motorrad und fuhr zu Familien, denen wir leider abgesagt hatten, weil ihre Anmeldungen zu spät kamen. Das Interesse war immer noch da und so haben wir seit gestern 15 Kinder bei uns im Haus, von denen sich viele erst einmal an das Leben in Khamjing und ohne Eltern gewöhnen müssen. Je nach Persönlichkeit und Alter des Kindes ging die Verabschiedung recht zügig – vor allem die „alten“ Kinder kennen das ja schon und fühlen sich bei uns auch wirklich wohl – oder war auch mit vielen Tränen verbunden. Die meisten Kinder beruhigten sich nach einiger Zeit, doch vor allem ein kleines Mädchen saß noch lange am Zaun und schaute den Weg runter, ob ihre Mutter wiederkommt um sie zu holen. Viele Tränen hat sie vergossen und wollte sich so gar nicht mit dem neuen Leben abfinden, schrie immer wieder nach ihrer Mutter. Für mich war das in der Vehemenz nicht ganz leicht auszuhalten, auch wenn ich weiß es den Kindern hier wirklich gut geht und sie, im Gegensatz zu den vielen Hostels in Kathmandu, im Familienverband mitgeführt werden. Auch Dawa konnte mir da zunächst nicht wirklich weiterhelfen „Don’t worry Simone, this is our culture, she will be fine like all the other children“. Natürlich wusste ich das. Trotzdem musste ich mich etwas sammeln. Mittlerweile geht es Nisma gut, sie winkt mir fröhlich und hat sich gut in die Gruppe eingefugt, die Routine der Abläufe hat sicherlich auch geholfen. 

Und so ging es zu meinem letzten, größeren Projekt: die Zähne der Kinder. Bereits bei der Ankunft wurde ich fröhlich von Karies angelacht, jetzt hatten wir die Zustimmung aller Eltern, mit ihren Kindern nach Dhunche zu fahren und alle notwendigen Behandlungen durchführen zu lassen. Ich sah mir die Zähne aller Kinder an und nahm zunächst die schlimmsten 7 Fälle mit, am Freitag ist nur ein halber Tag Schule und der Jeep wird nicht für die Patiententransporte genutzt. Ich gab den Kindern Bescheid „You are coming to Dhunche with me tomorrow, to see the dentist“. Für die Kinder war das ein großes Spektakel, sie waren noch nie in einer so großen Stadt – um das einzuordnen, In Dhunche leben um die 3.000 Menschen.  Außerdem war natürlich auch die Aussicht, einen Tag Schule zu verpassen, sehr willkommen. Also liefen wir am Freitagmorgen gleich um 7h morgens los, wir hatten einen langen Weg vor uns. In der Tasche hatte ich vorsichtshalber mal Reisekaugummis. Da die Straße ja auf halber Strecke aufgrund von Bauarbeiten gesperrt ist mussten wir das Stuck zu Fuß gehen. Tsering Dolma war sehr still und schien mir recht angespannt. „Are you ok?“ „No, I am scared. We are going by jeep?“ „Yes. Is that ok?“ „Ok..“ Sie war ganz und gar nicht ok und rückte irgendwann raus mit der Sprache, dass sie unter starker Reiseübelkeit litt und wirklich Angst davor hatte, sich in den Jeep zu setzen. Ab da ließ sie auch meine Hand nicht mehr los. Die beiden Jungs hingegen hatten einen Heidenspaß und konnten sich gar nicht oft genug gegenseitig übertrumpfen was Lautstarke beim Reden, Geschwindigkeit beim Rennen oder Größe der Autos betraf.

 

 

Beim Jeep angekommen mussten wir den Haufen dann erstmal irgendwie ins Auto bekommen. 7 Kinder, Hishi und ich, eine Patientin und der Fahrer. 8 Sitze. Also saßen die 5 Kleinsten hinten, Hishi und ich hatten in der Mitte jeweils ein besorgtes Mädchen neben uns, vorne die Patientin. Tsering Dolma saß ganz klein und ängstlich am Fenster, hielt eine Plastiktute in der Hand und drückte sich sehr fest an mich. Es dauerte nicht lang, da war auch schon die erste Tüte voll – wir waren noch lange nicht auf der Hauptstraße – und flog direkt aus dem Fenster. Ich versuchte, mein deutsches Empfinden auszuschalten, dem Kind ging es wirklich miserabel. Bis zur 5. Tüte fand ich es noch doof, dass das ganze Plastik in der Natur landete, nach der 10. habe ich aufgehört, zu zahlen, und war ehrlich gesagt froh, dass ich die ganzen Tüten nicht in Dhunche in einen schwer aufzutreibenden Mülleimer werfen musste. Irgendwann schlief Tsering Dolma auch völlig ermattet auf meinem Schoss ein, mir tat sie unendlich leid. In Dhunche angekommen mussten wir dann erstmal den Berg zum Krankenhaus hochlaufen, ich half ihr, so gut es ging. Kinder in Nepal jammern wirklich selten und fügen sich schicksalsergeben jeder Situation, die ihnen abverlangt wird, das sollte ich an diesem Tag noch einige Male erleben. Im Krankenhaus angekommen klappte die Anmeldung problemlos, alle Kinder bekamen ein Patientenheft zur Dokumentation der Behandlung, und kamen auch gleich dran. Tsering Dolma war gleich die Erste, das arme Kind bekam es heute wirklich ab! Ich setzte mich ans Kopfende des Behandlungsstuhls, hielt ihre Hand und war froh, dass die Zahnärztin wirklich freundlich auf das Kind einging. Ihr wurde ein abgebrochener Milchzahn gezogen, der Schmerzen bereitete, und ein Loch gefüllt, fertig. Sie ertrug alles ohne sich zu beschweren. Ihr Bruder hatte nur ein kleines Loch und war schnell fertig, dann rief ich den ersten Problemfall. „Oh my God!“ „Yes, he is the reason we are here“. „I can’t do it all today, you must come back“ Wollten wir ja eh. Und so kam ein Kind nach dem anderen auf den Stuhl, ich saß links und hielt Hände, die Zahnärztin ging auf die Kinder ein und machte wirklich einen tollen Job. Trotz der doch etwas abgenutzten Ausstattung des Zimmers würde ich mich jederzeit – im Notfall – auch selbst hier in Behandlung begeben. Nach Kind 7 schaute mich die Zahnärztin dann an „Are there any more?“ „No, not today. We are coming next week with the 2nd half“ „Oh, good. I really need a break now“ Ja, das war wirklich Akkordarbeit, was sie da geleistet hatte. Zum Abschluss machte sie noch ein Foto von sich und allen Kindern und verabschiedete sich sehr herzlich. Ich war ausgesprochen zufrieden, die Kinder waren alle am Ende. Die Aufregung, die Anspannung, die Schmerzen, die viele Kinder so tapfer ertragen hatten. „We are soooo hungry, Simone-Sister!“ „Ok, do you want to go for Momos?“ Alle Treppen runter, die Aussicht auf Momos trieb uns alle an. Nach 2,5 Stunden Weg und fast 4 Stunden Behandlung hatte auch ich großen Hunger und die Buff Momos schmeckten uns allen. 

 

Danach ging es wieder in den Jeep und Tsering Dolma drückte sich fest in meinen Arm nachdem sie sich vergewissert hatte, dass ausreichend Tüten griffbereit waren. Ich war froh, als sie nach relativ kurzer Zeit und einigen Tüten einschlief und erst in Syaphru Besi wieder aufwachte. Wir brauchten für die gezogenen Zähne noch etwas zu essen, Bananen und Toast wurde gewünscht, außerdem sollte ein Madchen die recht unordentlichen Haare geschnitten bekommen. Nach allen Besorgungen saßen wir mit 7 Kindern beim Friseur, der mir fröhlich winkte. Lakhpa Chomo entschied sich für einen Kurzhaarschnitt, und plötzlich zupfte Priya an Hishis Jacke. Sie wollte auch die Haare abhaben. Ok. Also war sie die nächste auf dem Stuhl. Yangzom stand inmitten des Ladens und hatte ein „Überleg-Gesicht“. „I want my hair cut, too“. Ok. 4 Kinder später verließen wir mit vielen neuen Kurzhaarschnitten den Friseur und freuten uns alle. Noch einmal ging es für mein Kind mit so schwerer Reiseübelkeit in den Jeep, sie fasste allen noch verbleibenden Mut zusammen. Noch einmal den Berg hoch, und einige Tüten später waren wir an der Baustelle angekommen. Mittlerweile war es später Nachmittag und ich versuchte, die Kinder etwas anzutreiben, von Tibet her zogen sehr dunkle Wolken auf. Was runter für mich recht zügig in 1/2 Stunde ging dauert bei mir für gewöhnlich langer, wenn es wieder hochgeht, außerdem hatten wir verschiedene Einkaufe dabei und den Kindern fehlte es nach so einem Tag nun auch berechtigterweise an Energie. Aber wir schafften es noch rechtzeitig vor dem Regen ins Kinderheim. Oben gab es erstmal Tee für alle und die Daheimgebliebenen bestaunten die neuen Frisuren, die gefüllten Löcher und die gezogenen Zähne. Tsering Dolma ging es dann nach einer Banane auch wieder besser und ich war mit dem Tag wirklich zufrieden. 

„Simone, are you home? Come to dining room!“ Auf dem Weg zum Essen war ich sowieso, aber was wollte Dawa jetzt noch von mir? Heute hatte ich wirklich keine Lust mehr. Oben angekommen war im Esszimmer meiner Wirtin ein Schamane bei der Arbeit, er hatte einen großen Altar aufgebaut und viele bekannte Gesichter waren dort. Der Großmutter geht es nicht gut und es wird alles versucht, ihren Beschwerden Linderung zu verschaffen. „How long will he stay?“ „Probably all night, it will be a long night for us. Come, sit down“ Auch meine beiden Jungs aus dem Kinderheim waren neugierig, und so verbrachte ich noch eine lange Zeit im Esszimmer, bei Dal Bhat, sah dem Schamanen zu und fand wieder einmal, dass ich Nepal von einer Seite kennen lernen darf, die den meisten Touristen doch verwehrt bleibt.