2. Projektbericht 2024

Ich hatte mir ja im letzten Bericht so hochtrabend vorgenommen, ab Montag „so richtig“ zu arbeiten, würde da aber gleich wieder ausgebremst von Nepal. Pläne machen ist hier nicht so… „Simone Sister, what do we do on Monday?“ „Uhm – you go to school!?“ „No, Monday is Holiday!“. –   Schon wieder? Freitag war Feiertag, dann war Wochenende – und jetzt ist wieder Feiertag? Die Kinder finden’s natürlich super, also gut. Ich habe ja aus Deutschland Kinderschminke mitgebracht, was deutsche Kinder lieben können meine Nepali gar nicht doof finden. Also starte ich das Vorhaben „Projekttag“ und bitte um ein Glas Wasser am Montagvormittag. Ich bekomme sehr skeptische Blicke von Kami, aber das ist ok. Ich bitte das erste Kind in unser Lernzimmer. Es mòchte gern einen Schmetterling auf die Backe, einen Drachen verweigern ich. Mein Mal-Talen ist durchaus ausbaufähig und Drachen kann ich nicht. Aber der Schmetterling kommt gut an und und Tsering Dolma strahlt. Glücklich geht sie wieder raus zum spielen, vorbei an einer ganzen Menge staunender Kinderaugen, sowas haben sie noch nie gesehen! Aber es finden alle toll, und jetzt wird’s laut vor der Tür. Es wird wild diskutiert, was man alles so auf Backen malen kann, Tiger, Drachen oder ein schönes Mandala? Äh, nein. Ich male Schmetterlinge, Blumen oder Fische, ich lasse mich noch auf Schlangen ein, das war’s dann aber auch. Die Kinder sind zufrieden mit mir und strahlen um die Wette. Ihr bin über eine Stunde beschäftigt, Kinderbacken zu bepinseln, dann sind alle durch. Und plötzlich steht Pramod da, unser neuer Kinderhaus-Manager, er möchte bitte eine blaue Blume. Ich bin beeindruckt,näher voll, dass er sich nicht zu blöd ist für den Spaß gefällt mir sehr. Und hinten dran steht Dawa, bitte einen gelben Schmetterling. Huch!! Aber gern, für mich wird es dann eine rote Schlange. Die Kinder kreischen vor Begeisterung, und so schnappt sich Pramod den ganzen Haufen und geht noch ein wenig spazieren, das tut den Kindern wirklich gut. Am Ende des Tages sind die Kinder sehr glücklich und liegen alle mit sauber gewaschenen Gesichtern im Bett.

Der nächste Tag wird sehr spannend für mich: wir fahren runter ins Tal um eine Secondary School zu besuchen und haben dort einen Termin mit dem Schuldirektor der öffentlichen Secondary School. Ich möchte mal den Vergleich zu unserer Privatschule in Kathmandu sehen. Außerdem geht Pretti mittlerweile hier zur Schule. Sie ist im vergangenen Jahr in Kathmandu krank geworden, nach einem Krankenhausaufenthalt haben die Eltern sie zurück geholt. Die Schule hat seit kurzem einen Bus, der Kinder aus einer bestimmten Route abholt, Prettis Haus liegt auf dieser Route. Wäre das auch was für uns? Und, noch viel dringender, wie geht es Pretti, besucht sie wirklich die Schule? Es gibt Länder, in denen die Not so groß ist, dass Kinder auch als Ware oder schlicht als Investition angesehen werden, mit ihren 10 Jahren wäre das Mädchen alt genug, zum Familieneinkommen beizutragen, ich muss mich einfach vergewissern, dass dem nicht so ist. 

Der Direktor der Schule empfängt uns sehr freundlich, sein Englisch ist so gut, dass wir uns fließend und ohne Übersetzungshilfe von Dawa begrüßen können. Ich bemühe mich in der blumigen Begrüßung der Nepali und finde mich schon ganz gut, wesentlich besser jedenfalls als letztes Jahr! Ich erinnere mich an die sehr unzufriedenen Blicke von Dawa letztes Jahr, wenn wir z.B. den Bürgermeister des Distrikts getroffen haben und meine freundlichen Worte durch langes Reden von Dawa ergänzt wurden. Dieses Jahr ist sein Blick nur noch etwas kritisch ☺️. Doch da taucht Pretti oben auf dem Balkon auf, sieht mich „Simone Sister!!“ und rennt los. Ich unterbrechen das Gespräch und laufe ihr entgegen – nicht gut. Ich gehe zurück zum Direktor und entschuldige mich „I didn’t see her for a year and was very worried when she fell sick – do you mind?“ Der Direktor entlässt mich, Dawa steht daneben und verdreht innerlich die Augen. Ich laufe los und freue mich riesig, das Kind wieder in den Armen zu halten, sie geht zur Schule und ist auch ansonsten in einem guten Zustand. Sie nimmt meine Hand und wir laufen ein paar Runden, sie erzählt von ihrer Familie, der Schule und den neuen Freunden und fragt nach meinen Kindern in Kathmandu und Khamjing. Mit dem Versprechen, sie jedes Jahr zu besuchen, wenn ich da bin, und der dringenden Bitte, sich bei jedweder Art von Problemen an Dawa zu wenden, schicke ich sie wieder in den Unterricht und finde zurück ins Gespräch mit dem Direktor. Mir gefällt die Schule Recht gut, aber sie geht nur bis zu 10. Klasse. Es war gut, sie gesehen zu haben, vor allem natürlich wegen Pretti. Auf dem Weg zum Motorrad bin ich noch ganz bewegt von dem Wiedersehen

„Now we get Baku for you!“ Oh ja, ich hatte bei einem unserer regelmäßigen online Meetings im vergangenen Jahr den Wunsch geäußert, ein traditionelles Kleid, eine Baku zu erstehen. Wir fahren zum Schneider in Syaphru und suchen zunächst einen Stoff aus. Zum Schluss habe ich 2 zur Auswahl, einer davon ist wunderschön dicht bestickt, mit Drachen und Ornamenten. Da schaltet sich Dawa ein „No Simone, that’s No good, you are simple girl, Take other one“ – äh bitte, was!? Spinnt der?? Kurzfristig bin ich beleidigt, dann fällt mir das buddhistische Frauenbild wieder ein, nach Möglichkeit soll man sich in Bescheidenheit üben. Na gut, der andere Stoff ist auch toll. Zu einem späteren Zeitpunkt bringe ich lachend nochmal den Unterschied zwischen simple – einfach, auch dümmlich, und modest – bescheiden, zur Sprache, da ist Dawa sehr bedröppelt. Meine Baku ist jedenfalls bestellt und wir fahren in großem Bogen über Lingling nah Hause. Der Ort ist bekannt für seine Zitronen, ich war noch nicht dort. Ich bin rechtzeitig zum Schulschluss wieder in Khamjing und auch gleich wieder umringt von allen meinen Kindern.

Der nächste Tag ist noch aufregender, vor allem für meine Kinder. Wir fahren mit 6 ausgewählten Kindern nach Dhunche ins Bezirkskrankenhaus zum Zahnarzt. „Simone Sister, I am going Dhunche?“ Ja, die schlimmsten Fälle sind heute dran, nächsten Freitag sind die übrigen Kinder vorgesehen. Der Jeep ist mit 6 Kindern und Fahrer nicht voll, aber auf dem Rückweg nehmen wir den HNO Arzt, einen Augenarzt sowie eine Ophtalmologin mit, sie sollen Hör- und Sehvermögen meiner Kinder überprüfen. Damit ist der Jeep dann wirklich voll, deshalb fahren Dawa und ich mit dem Motorrad nach Dhunche. Dort angekommen sieht mich die Zahnärztin schon von Weitem und winkt. Ja, ich erkenne sie auch von letztem Jahr, wir begrüßen uns herzlich und sie sprich sehr nett mit meinen Kindern. Dann gehen wir in den Behandlungsraum, sie stellt mir einen Stuhl an die gewohnte Stelle – am Kopfende, links, und wir fangen an. Ein Kind nach dem anderen bekommt Zähne gezogen und große Löcher gebohrt, ich bin ehrlich gesagt etwas entsetzt, wie schlecht die Zähne sind. Die Ärztin findet das aber normal und spricht an, was ich mit Dawa und Pramod bereits am Vortag diskutiert habe: der viele Zucker im Tee. Das wird bei uns im Kinderhaus reduziert, die Kinder bekommen jetzt auch gesalzenen Buttertee. Dieses Mal nützt das aber nichts, und so leide ich geschlagene 3 Stunden am Kopfende neben meinen Kindern, halte Hände und leide mit jedem Kind mit. Das ist ein Termin, der mir sehr wichtig ist, aber den ich gar nicht gerne wahrnehme. Als es geschafft ist dürfen die Kinder auch endlich was essen, dass sie sich in einem ‚Restaurant‘ aussuchen dürfen, was sie möchten, ist das Highlight schlechthin. Gestärkt fahren die Kinder wieder Richtung Khamjing, Dawa und ich setzen uns auf’s Motorrad. Unterwegs halten wir auf einer Farm an, unten am Fluss Trishuli, und machen Pause bei Wasser und Sprite. Hier sitzen wir zwischen steil aufragenden Felswänden, die die Sonne einfangen, an einem Pool und schauen auf Orangenbäume und Bananenpalmen und genießen die warme Sonne – bevor es weiter geht auf den Berg hoch. Auf 2200m Höhe bin ich dann wieder froh um meine Merinokleidung, die ich unter Jeans und Pulli trage! 

Die Ärzte des Bezirkskrankenhauses Dhunche sind zusammen mit unseren Kindern angekommen und verbringen die Nacht bei uns auf dem Berg, um 8h werden am nächsten Morgen unsere Kinder untersucht. Wir haben 3 Bindehautentzündungen und 10 Kinder haben so verstopfte Ohren, dass ihr Hörvermögen beeinträchtigt ist. Wie gut, dass wir alles haben überprüfen lassen! Das bedeutet für mich und Pramod, dass wir jetzt 14 Kinder zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Stellen Augen- und Ohrentropfen geben müssen. Das ist ganz schöne Arbeit und wir erstellen einen Plan. Dazu wird jedem Kind für die kommende Woche täglich eingeschärft, wann es welche Tropfen zu nehmen hat. Palmu erweist sich hierbei als große Hilfe, sie weiß ganz genau, wer wann dran ist. One eye, both eyes, also ears? Palmu weiß Bescheid! 

Nachdem unsere Kinder alle versorgt sind zieht die Augenklinik noch in die Gompa und hält hier eine ambulante Eyes Clinic ab. Patienten werden vor allem für Katarakt-OPs gescreent, aber auch alle anderen Probleme können behandelt oder für die weitere Behandlung in Dhunche diagnostiziert werden. So haben wir mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen, und von den rund 70 Patienten, die sich aus Khamjing und näherer Umgebung vorgestellt haben, werden doch 4 Patienten für eine OP eingetragen, weitere 3 Patienten benötigen eine Behandlung in Dhunche und es gibt viele neue Brillen bei uns im Dorf. Ein voller Erfolg! Als wir das Team dann verabschieden kommt die junge Ophtalmologin auf mich zu ‚I saw you yesterday in Dhunche – you didn’t recognise me??‘ Erst jetzt fällt mir auf, dass wir uns letztes Jahr im Nachbarort Briddhim bei eben so einer Feldklinik getroffen hatten, sie hat mich beim Zahnarztbesuch gleich gesehen und erkannt. Das ist häufiger so, mittlerweile, und mir kommt das Wort ‚bunter Hund‘ in den Kopf…nicht das letzte Mal während meines Aufenthalts. 

Abends gibt es dann noch ein Treffen mit dem Bürgermeister des Ortes unten im Tal, er ist für das ganze Langtang Gebiet zuständig. Ich habe wegen der Schule diverse Fragen und Vorschläge und bin dabei mäßig erfolgreich. Man hört ein wenig über die Politik in Kathmandu, in Syaphru ist das nicht viel anders. Trotzdem fand ich das Wochenende sehr erfolgreich, und Dawa und ich rasen in voller Geschwindigkeit – nach förmlicher Verabschiedung vom Bürgermeister – wieder den Berg hoch, 10-15km werden wir geschafft haben! 

Am Sonntag bringe ich die Kinder zur Schule, Pramod ist mit nach Dhunche gefahren, um die benötigte Medizin zu besorgen, danach laufen Dawa und ich in den Nachbarort Briddhim, um einen Tee zu trinken. Auf dem Weg haben wir viel zu besprechen.