Reisebericht Mustang 3
Am Morgen packen wir also früh unsere Sachen und laufen los. Wenn man durch Mustang durch fährt, sieht es schon sehr karg aus. Wen man durch läuft, bekommt das Ganze nochmal eine andere Dimension. Gleich hinter Lomanthang sind wir wieder mitten im Nichts, es gibt auch kein Wasser. Wir schleppen jeder unsere Flaschen mit, nervt mich, die Notwendigkeit hierfür ist aber offensichtlich. Wenn wir durch windstille Senken laufen und die Sonne scheint, ist es wirklich warm und ich beginne zu schwitzen. Kommen wir um einen Felsen herum und – vor allem ab mittags – der Wind trifft uns, wird es schlagartig kalt. Der Wind bringt die Kälte der hohen, umliegenden Berge mit und ich bin die gesamte Zeit damit beschäftigt, eine Jacke auszuziehen, wieder anzuziehen, aus, an….
Zunächst laufen wir noch über verhältnismäßig liebliche Wellen, um Felsen herum, mal hoch, mal runter – Nepali Flat nennt sich sowas – und ich bin halbwegs zufrieden mit meiner Leistung. Dawa hat ein paar Äpfel aus Mustang eingepackt, außerdem haben wir reichlich Snickers dabei, das hält uns bis zum frühen Nachmittag. Dann sehen wir schon die erste Übernachtung unten am Fluss, Dhee. ‘That’s where we are going’ Ich schaue runter. Und fühle mich, wie beim Skifahren, wenn man ganz oben auf einer schwarzen Piste steht und einen die Realität einholt wenn man runter guckt. ‘You mean – down there? Where is the trail?’ ‘We are going there, look’ sagt Dawa und zeigt auf das langgestreckte Geröllfeld zwischen 2 Felsnadeln, das eine Neigung von mindestens 45% hat. ‘No, I mean – where are WE going??’ Dawa guckt freundlich, das heißt er kann mit meiner Frage nichts anfangen. Und hier kommt die Realität, ich werde irgendwie da runter müssen. Zum Glück weiß meine Mutter nicht, was mir hier grade bevorsteht! ‘Dawa, let’s get down the nepali way, slowly, slowly, ok?’


Ich habe echt ein mittelmäßig gutes Gefühl bei diesem Abstieg, aber irgendwie runter muss ich ja. Also beginnen wir mit dem Abstieg. Ich habe ja diverse Butterlampen angezündet, die mir ganz bestimmt helfen, unten in einem Stück anzukommen. Und wenn das nicht genug waren, dann wurde mir ja oft genug hier gesagt, dass ich ein ausgezeichnetes Karma habe. Also kann mir gar nicht wirklich was passieren. Trotzdem, der Abstieg dauert fast eine Stunde, wir machen immer wieder Pause, weil ich nicht mehr kann. Einerseits ist das Gefälle über die lange Strecke echt schon nicht so ganz ohne, aber der Untergrund macht mir noch viel mehr zu schaffen. Das Geröll entpuppt sich als eine Mischung aus freundlichen, runden Kieselsteinen und einer Sand-Staub Mischung, entweder die Steine rollen unter den Füßen weg, oder man sinkt so weit in den Staub-Sand ein, dass man auch keinen Halt findet. Dazu balanciere ich die ganze Zeit meinen Rucksack auf dem Rücken und bin sehr bemüht, meine Stürze abzufangen. Zwischendrin bin ich mir sicher, dass es doch 7 Butterlampen hätten sein müssen, die ich angezündet habe. Aber Dawa bringt mich irgendwie runter und ich bin heilfroh, als wir endlich in unserer Lodge ankommen. Die ist wirklich sehr einfach, das Klo über den Hof mit Lehmboden, eine Dusche gibt es nicht. Ist mir egal, ich bewege mich keinen Schritt mehr heute. Ich freue mich über die Suppe, die uns die Wirtin gleich anbietet, eine Thukpa, tibetische Nudelsuppe. Wir sitzen in der Küche, da esse ich eigentlich immer am liebsten, in die Esszimmer, die es eigentlich in jeder Lodge gibt, gehe ich selten. Ich schaue der Wirtin immer gerne bei der Zubereitung des Essens zu, Dawa ist stets zufrieden, wenn er dort mit anderen Guides oder den Wirten reden kann. Nach Thukpa gibt es einen Milktea, ich lasse mich von dem Geschehen um mich herum unterhalten und bin sehr zufrieden. ‘Tomorrow is easier, only 3 hours, then we are in Yara. We leave our luggage and go to Cave Monastry after lunch’ Ja, das klingt gut, so machen wir es dann. Den Weg am folgenden Tag laufen wir zunächst ein ganzes Stück durch das Flussbett, das ist schön flach und ich bremse nicht allzu sehr, so dass wir gut vorankommen. Natürlich geht es irgendwann wieder bergauf, wir sind tatsächlich schon gegen 10h in Yara und beziehen eine Lodge mit eigenem ‘Bad’ und Hot Shower. Ich möchte erstmal duschen.
Das ‘Bad’ ist ein Betonraum mit offenem Fenster, an der Wand ist ein Duschkopf und ein Waschbecken, hinten ist eine Stufe über die gesamte Breite, in die Erhöhung ist ein asiatisches Stehklo eingelassen. Der obligatorische Wassereimer zum Spülen steht in der hinteren Ecke. Sauber geht anders, ich schaue mich um und suche den am wenigsten dreckigen Ort, um meine Sachen abzulegen. Relativ erfolglos. Aber egal, ich möchte mir den immer-währenden Staub abwaschen, vor allem aus den Haaren. Die fühlen sich hier wenige Stunden, nachdem ich sie gewaschen habe, wieder stumpf filzig an durch den starken Wind und den Staub, der hier überall in der Luft ist. Wenn ich mir in die Haare fasse habe ich gleich wieder dreckige Hände und bei der Haarwäsche ist der Schaum das erste Mal dunkel-braun. Also, eine Dusche ist fällig, egal wie es hier aussieht. Immerhin besser als gestern! Das ‘heiße’ Wasser ist lauwarm, ich bin danach völlige durchgefroren, aber sauber, das ist super. Und im Innenhof unserer Lodge fängt sich die Sonne, der Wind wird abgehalten, so dass ich bei Pfannkuchen mit Erdnussbutter langsam wieder warm werde und die Haare trocknen können.


Dann geht es wieder los, wir möchten ein Felsenkloster besichtigen, der Weg dorthin dauert vielleicht 1,5 Stunden. Unterwegs begegnen wir wieder diverse Tiere, die Dawa meistens vor mir sieht und verscheucht. Blödmann. Am Kloster angekommen erwarten uns Treppen, geschmückt mit bunten Gebetsfahnen, oben ist das rot-gestrichene Kloster. Ich habe gelernt, dass die religiösen Gebäude in Terrakotta-Rot gestrichen sind, die administrativen und Wohngebäude sind weiß, deshalb ist z.B. auch der Potalla in Lhasa 2farbig. Eine Nonne wartet oben auf uns und bietet uns zunächst etwas Tee an. Dann gehen wir in das Höhlenkloster hinein, die alte Stupa ist ca 800 Jahre alt und wirklich schön. Die erhabene Lage trägt zum feierlichen Gefühl bei. Wir zünden wieder Butterlampen an und machen uns auf den Rückweg, heute soll ich mich ausruhen, ab morgen wird es anstrengend. ‘I will go and get horse now’. Ja, bitte. Mir graut ein wenig vor den nächsten beiden Tagen und ich bin heilfroh über die tierische Unterstützung. Auch, wenn ich mich echt saudoof dabei fühle. Beim Abendessen freut sich Dawa dann, er hat ein Pferd gefunden und der Horseman kommt mit bis fast zum Ende. Beruhigt schlafe ich ein und freue mich auch ein wenig auf morgen, ich bin schon sehr lange nicht mehr geritten.
Das ‘Pferd’ entpuppt sich am nächsten Morgen dann als Pony und ich bezweifle zunächst, ob mich das überhaupt tragen kann? Aber ich weiß, dass die Bergpferde hier ca 80-100kg tragen, wenn Waren transportiert werden, und soviel wiege ich dann doch nicht. Auch wenn Dawa mir immer und immer wieder sagt, dass 60kg im Leben nicht stimmen kann, ich sehe nach ‘much more’ aus. 🤨
Wir laufen den ganzen Tag, am Ende werden es 24km sein. Wir starten in Yara bei 3500m Höhenlage, abends kommen wir ungefähr gleich an, zwischendrin ging es immer mal wieder hoch, dann runter – und wieder hoch. Ich bin ehrlich, ohne Pferd hätte ich das nicht geschafft. Mittags halten wir an einem Haus, ich vergleiche es mal mit einer Karawanserei im arabischen Raum, es gibt ein Dal Bhat und viel Wasser, ansonsten sehen wir den ganzen Tag kein weiteres Haus. Und auch keine Menschen. Wir sind zu dritt, mit Pferd, das war’s. Vögel gibt es hier auch nicht. Und da man auch kein Wasser plätschern hört kann es sein, dass man in den Pausen oder auch beim Laufen über den Staub-Sand nichts hört. Gar nichts. Vormittags nichtmall den Wind. Ich sage Dawa, dass mir so etwas noch nie im Leben passiert ist, dass ich gar nichts höre. In Europa hört man immer irgendwas, und auch auf anderen Kontinenten war ich noch nie in einer Situation, über Stunden nichts zu hören. Auch optisch lenkt nichts vom eigenen Ich ab, und so kommt man tatsächlich in einen Zustand, sich seine Unterhaltung aus dem Inneren zu ziehen. Wenn ich laufe, kann ich nicht reden, und wenn ich reite, mag ich nicht reden, es ist mir etwas peinlich, mich immer wieder völlig gechillt tragen zu lassen, während Dawa und der alte Horseman Kilometer um Kilometer laufen. Ich denke sehr viel über das letzte Jahr nach, über die kommenden Tage, über mich und die Welt im Allgemeinen, da hab ich gut zu tun. Die Männer entscheiden immer, wann ich laufe und wann ich reite, es ist selten, dass ich so wenig selbstbestimmt bin, aber hier übergebe ich mich komplett in die erfahrenen Hände der beiden. Und so kommt es, dass ich am ersten Nachmittag die letzten paar Kilometer über ein flaches Stück laufe, das Pferd trägt meinen Rucksack, ich spaziere weit vorneweg, ich bin ja ausgeruht. Bevor wir in unserem nächsten Nachtquartier ankommen, geht es wieder steil über Geröll zwischen den Felsnadeln abwärts.


Da ich meinen Rucksack nicht tragen muss habe ich etwas mehr Balance, mache aber trotzdem drei Kreuze, als wir unten ankommen. In unserer Lodge sind 2 Franzosen mit Guide und Porter, sie sind schon etwas vor uns angekommen und sitzen im Dining Room. Ich setze mich in die Küche zu den Nepali, eine Katze kommt neben mich, und der Abend wird recht gemütlich.
Am nächsten Morgen starten wir sehr früh, lassen uns ein Vesper einpacken, und los geht’s. Zunächst über eine sehr lange Hängebrücke für Dawa und mich, das Pferd samt Besitzer laufen durch das Flussbett. Dann geht es über nepali Flat (immer wieder hoch und runter) langsam hoch bis zum Paa Pass auf 4183m Höhe. Dahin gelangt man über sehr steile Auf- und auch immer wieder Abstiege, und vor allem über sehr schmale Pfade in Felswänden. An ein paar Stellen ist der Weg 15cm, vielleicht 20cm breit, und ich vermeide sehr, nach unten zu sehen. Ich sitze auf dem Pferd, das muss ja 4 Füße koordinieren, und ich denke wieder an die vielen Butterlampen, die Dawa und ich in den letzten Tagen angezündet haben. Leicht besorgt bin ich tatsächlich, wenn das Pferd jetzt stolpert, dann gibt es da für die ersten paar hundert Höhenmeter nichts, was meinen Fall auffängt.
Aber das Pferd ist erfahren und lebt , es weiß also, was es macht, der Horseman möchte sein Pferd nicht verlieren, und Dawa habe ich bereits zu einem früheren Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass er immensen Ärger bekommen wird, wenn mir was passiert. Das weiß er auch. Also wird schon alles gut gehen, so lange ich nicht runter schaue. Solche oder ähnliche Pfade werden diesen Tag immer wieder vorkommen und ich bin dankbar, dass ich keine Höhenangst habe! So schaffen wir es alle auf den Paa Pass, hier sehen wir auch das letzte Mal die Franzosen aus unserer Unterkunft, die bereits aufgebrochen waren, als ich gerade zum Frühstück erschien. Sie sind schon recht langsam und haben gerade mal die Hälfte geschafft, bis zum nächsten Ort, ich bin zwar wieder etwas peinlich berührt ob meiner Unterstützung, aber doch auch heilfroh drum!
Ab dem Paa Pass geht es dann runter, nepali flat. Etwas hinter dem Pass machen wir Rast und essen ein wenig, ohne mich anzuschauen reicht Dawa mir einen Apfel. Für das Pferd. Er findet das eine ziemliche Verschwendung, ich finde, es hat sich den Apfel verdient! Die letzten beiden Tage gab es deswegen ziemlich Diskussionen, das Pferd solle doch das Gras fressen. Hier ist kein Gras, Dawa, nirgends! ‘What do you think the horses are living from when there is no Simone around?? Apples are for us!’ ‘Fine, then no Snickers for you either, there is bread in the bag!’ Ich bewege mich auf ziemlich dünnem Eis, ich trage weder Äpfel noch Snickers, das fällt mir in dem Moment aber nicht ein. Irgendwann wird es Dawa wohl zu blöd und er gibt nach, ab da bekommt das Pferd bei jeder Rast, die wir machen, einen Apfel – so lange wir auch essen. Essen wir nicht, gibt’s auch für das Pferd nichts. Na schön.
Nach der Rast verabschiedet sich der Horseman, ab jetzt muss ich alleine durchkommen. Wir laufen. Und laufen. Und laufen. Auf meine Frage, wie weit es noch geht, deutet Dawa nach oben, den Weg entlang, und um die nächste Felsnase. Ah ja, ok, das schaffe ich! Um die Felsnase herum geht der Weg weiter, wieder um eine Felsnase. Und so weiter. Irgendwann frage ich, wieviel Male ‘Up and round’ wir noch laufen müssen – die Antwort ist eine Handbewegung ‘Hoch und rum’. Innerlich heule ich. Irgendwann stehen wir oberhalb von Chhuksang, der Grenze zwischen Lower und Upper Mustang, hier ist der Police Checkpoint, an dem nach den Tagen in Kagbeni mein Permit überprüft worden ist. Ich freue mich, ich bin fix und fertig, ich habe sogar das letzte Mars mit Dawa gegessen, das ich eigentlich gar nicht mag. Aber: OBERHALB von Chhuksang, es geht über eine weite Strecke gefühlt senkrecht runter, ich bin an dem Tag echt viel gelaufen und merke, dass meine Beine langsam ihre Leistungsgrenze erreicht haben. Ich rutsche und stolpere den Weg entlang, muss mich an einigen sehr schmalen Stellen extrem konzentrieren. Irgendwann nimmt Dawa mir wortlos meinen Rucksack ab und ich muss klein beigeben, ich schaffe den Abstieg mir Rucksack nicht mehr. Als wir unten am Checkpoint ankommen reicht mir ein Polizist einen Stuhl und ich bewege mich nicht mehr. Keinen Zentimeter.
Dawa checkt mich aus Upper Mustang aus. Was für ein Trip, ich bin völlig überwältig. Die Schönheit, die Kargheit, die Farben und Formen und die Kultur von Mustang haben mich völlig begeistert, es ist eine der schönsten Reisen, wenn nicht die Schönste, die ich in meinem Leben gemacht habe. Wer üppiges Grün sucht, der ist hier völlig fehl am Platze. Aber für mich war es die Erfüllung eines Traums, so gelungen wie ich es tatsächlich nicht erwartet habe.
Dawa organisiert uns eine Mitfahrgelegenheit in einem Jeep nach Jomsom wo wir übernachten werden bevor es am nächsten Tag über Tatopani und Pokhara nach Kathmandu und schließlich nach Khamjing gehen wird.
Bevor wir in den Jeep einsteigen bedanke ich mich. ‘You have no idea what this trip meant to me, thank you so much, thanks for everything!’ ‘If you’re happy, I am happy!’
