Reisebericht Mustang 2

Der folgende Tag rührt mich häufig zu Tränen aus völliger Überwältigung der Schönheit der Natur und vor Glück, erleben zu dürfen.
Dawa organisiert uns ein Motorrad und wir erkunden Lower Mustang von Kagbeni aus. Die Schlucht mit ihren Felsnadeln entlang des breiten Flussbettes bringt immer wieder neue, zutiefst beeindruckende Bilder als wir zunächst Richtung Dhumba Lake fahren, der ein heiliger See für die Buddhisten ist, auf 2830m gelegen. Warum der See heilig ist erkenne ich sehr schnell. Ich stehe fassungslos vor einer Szenerie, die von der schönsten Fototapete stammen könnte – wäre sie nicht echt. Vor mir liegt ein See in wunderschönem, klaren Türkis,  umrahmt von Nadelbäumen, die sich zu auf einem Felsplateau im Hintergrund liegenden Kloster öffenen. Dahinter die schneebedeckten Spitzen des Himalayas unter fast ganz blauem Himmel, das Bild könnte nicht kitschiger sein. Ich schaue Dawa an ‘Thank you, I don’t know what to say. This is amazing, so beautiful!’ ‘You like it? Good. You happy, me happy’. Diesen Satz wird er in den kommenden Tagen sehr oft sagen. Wir laufen einmal um den See herum, dann steigen wir auf das Motorrad und fahren zum Kloster. Ich habe bereits einige alte, buddhistisiche Klöster im Himalaya gesehen, es werden noch einige hinzukommen. Sie ähneln sich genau so, wie es christliche Kirchen tun. Ich genieße jede Besichtigung und freue mich über den immer gleichen Geruch nach Butterlampen, Rauch und Alt. Es ist schön hier, wir zünden jeweils 3 Butterlampen an (immer eine ungerade Zahl, 7 wäre am besten, aber 3 ist gut) und ich gebe dem Lama, der uns das Kloster geöffnet hat, ein kleines Entgelt.

 Beim Anzünden der Butterlampen muss man vorsichtig sein, dass man nicht über die Flammen hinweg atmet, das bringt Unglück. Und vor allem darf man die lange Kerze, mit der man die Lampen entzündet, nicht auspusten, das habe ich bereits gelernt und bin sehr bemüht, mich daran zu erinnern und nicht aus Reflex zu handeln.
Weiter geht’s nach Marpha, einem recht original erhaltenen Dorf auf der anderen Flussseite. Da die Durchfahrt durch Marpha grade gesperrt ist lädt Dawa mich am oberen Ende ab und fährt unten am Fluss zum anderen Ende, um mich wieder einzusammeln. So kann ich ganz für mich durch den Ort schlendern und stelle wieder einmal fest, dass es völlig egal ist, wo man auf der Welt ist, die Menschen ticken überall gleich: Marpha ist ein typischer Touristenort. Es hängen Fahnen über den Gassen, die Geschäfte links und rechts verkaufen as Gleiche, es gibt wenig originale Produkte und das Meiste ist ‘Made in China’. Aber der Ort ist ist wirklich hübsch! Gegen Ende der Straße sehe ich Dawa, der schon mit dem Motorrad bereit steht. ‘Was good?’ ‘Yes, really nice – just too many tourists!’ ‘Just wait. Tomorrow we are Lomanthang, no tourists!’ Na, das wird was! Weiter fahren wir zum Highlight des Tages, es geht nach Muktinath auf 3800m Höhe. Die Fahrt dorthin ist an Ausblicken nicht zu übertreffen, wieder frage ich mich,  wie Menschen in diesem Nichts auf die Idee kommen können, sich anzusiedeln?? Ich bin völlig gebannt von den Farben und Formen, die die Berge hier zeigen, und immer wieder – um sicherzustellen, dass man noch weiß man ist in Asien – steht einfach so eine Stupa im Weg. Oder Gebetsfahnen hängen an einem Mast, zu allen Seiten gen Boden gezogen.

Richtung Muktinath merke ich, dass das wohl ein wichtiger Ort ist, es fahren immer mehr Jeeps an uns vorbei, viele davon mit indischem Kennzeichen. Muktinath ist einer der wichtigsten Wallfahrtsorte für Hinduisten, hier entspringen 108 Quellen, in deren Wasser man badet. Nichts für mich, erstens ist es echt kalt, zweitens liegen mir diese nepali Massenbäder echt nicht, wo trübes Wasser in eine Betonbecken gefasst ist und man ansteht, um reichlich bekleidet eine (religiöse) Waschung zu vollziehen. An der Quellen ist es so laut und trubelig, wie das bei den Hindus eigentlich immer er Fall ist. Wir laufen weiter und ich sehe eine große Buddha Statue, es wird allmählich leiser. Die Buddhisten sind die ruhige Seite von Nepal, in aller Ruhe und In-sich-Gekehrtheit  umrunden wir einmal die Statue und drehen alle Gebetsmühlen. Dann gehen wir in den Tempel, hier empfängt mich wieder das Altbekannte, aber mittig vorne ist ein Stein, darunter scheint es wichtig zu sein, denn einige Menschen stehen an, knien sich vor den Stein, gucken drunter und gehen wieder. Dawa erklärt mir, dass dort eine ewige Flamme aus dem Boden kommt, die ist heilig. Möchte ich sie sehen? Klar möchte ich, also ziehen wir die Schuhe aus und begeben uns ins innerste. Als ich dran bin sehe ich tatsächlich eine kleine, blaue Flamme, die da aus dem Boden kommt. Später lese ich nach, dass das eine Erdgasflamme ist. Ich wirke wohl angemessen beeindruckt, Dawa ist zufrieden und wendet sich noch kurz dem Altar zu. Er betet kurz und bekundet seine Ehrerbietung durch mehrmaliges Berühren des Altars mit der Stirn. 

Jetzt sind wir mit dem Programm heute eigentlich durch, aber wir haben noch Zeit. Das Motorrad ist für den ganzen Tag gemietet, und so fahren wir einfach wieder unten auf der Hauptstraße das Tal hoch und ich bewundere die Landschaft. Immer wieder bitte ich Dawa, zu stoppen, um noch ein Foto zu machen, es ist einfach so schön hier! Irgendwann merke ich, dass die Fotos alle gleich aussehen. Alle toll, aber alle gleich. Also fahren wir einfach und ich gucke und bin überwältigt. An einer Brücke dann kehren wir um, es wird spät. Ein Foto noch, mit Gebetsfahnen über Hängebrücke habe ich noch nicht. Zumindest nicht, mit rotem Fels dahinter. Glaube ich. ‘Tomorrow, we will take Jeep to Lomanthang’ Ja, da komme ich mit!
Lomanthang ist der ehemalige Sitz des Königreiches Mustang und der nördlichste Punkt unserer Reise. Hier sind wir dann wieder ganz nah an der chinesischen Grenze. Die Fahrt hierhin, im Jeep, ist auch wieder ein Erlebnis. Ich bin, wie von Dawa angekündigt, die einzige Touristin und werde von allen genau beäugt, unausgesprochen steht mir der Platz vorne neben dem Fahrer zu, das scheint selbstverständlich. Ich mag diese Bevorzugung nicht, füge mich aber. Mit einer kurzen Ansage an Dawa, dass ich das doof finde und nicht will – und der versteht gar nicht, was ich grad sage. Warum denn nicht, so habe ich die beste Sicht! Wir holpern langsam die Straße hoch, es dauert einige Stunden und ich bin heilfroh über meinen stabilen Magen, das ist nicht bei allen so. Dass wir an unglaublicher Landschaft vorbeifahren, karg, bizarr, das habe ich jetzt hinlänglich erwähnt, wird aber bis zum Schluss unserer Reise so bleiben. Unterwegs halten wir für ein Mittagessen an. 

Es gibt natürlich Dal Bhat, aber halt so richtig echtes Dal Bhat. ‘Is it very hot’ ‘No, I don’t think so, you will like it!’ Da hat er Recht, das Dal (Linsensuppe) schmeckt tatsächlich gut, ist schon ordentlich scharf, aber lecker. Auch das Takari, das Gemüsecurry (ich nehme am besten immer Gemüse, für das Fleisch brauche ich etwas Überwindung) ist wirklich lecker, und mit Reis gemischt gut zu essen. Dann kommt das Eingelegt und mir bleibt die Luft weg. Im gesamten Mundraum inklusive des Gaumensegels und unter der Zunge (!) habe ich Schmerzen von der Schärfe. Ausspucken kann ich natürlich nicht, also muss alles runter. Ich schlucke und merke, wie langsam meine Speiseröhre brennt, dann bekomme ich kurzfristig keine Luft mehr. Nach einiger Zeit kann ich wieder sprechen ‘Dawa, what is this??’ Ich zeige auf das eben Gegessene. ‘Oh, that is pickle, mountain herbs, typical tibetian kitchen, very nice!’ ‘It is very f***ng hot! You should have warned me!!’ ‘Are you crying Simone???’ Aha, jetzt macht er sich doch Sorgen und reicht mir eine Serviette für die Nase, dann probiert er das Zeug. Anerkennend schnalzt er mit der Zunge ‘This is very good, Simone, you tried?’ Ich sitze mit offenem Mund da und  nehme noch eine Serviette. ‘I am German Dawa!’ heule ich. Er versteht und fängt an zu lachen, der ganze Raum schaut jetzt auf uns und Dawa erklärt freimütig meinen Zustand. Alle lachen und freuen sich über meine Tränen, dann lache ich mit, die Wirtin bringt mir etwas gekochten Reis. Es dauert noch etwas, dann kann ich weiter essen. Das Zeug, die eingelegten Bergkräuter, lasse ich liegen. Als Tee aus den Alpen sind mir Kräuter wesentlich lieber als – so!!

In Lomanthang kommen wir nachmmittags an und beziehen unser Hotel. Mir fällt gleich auf, dass es recht kalt ist, aber ich denke mir da erstmal nichts bei, draußen scheint die Sonne und damit reicht es, mich normal mit einer Lage Merinowolle anzuziehen. Wir schlendern wieder durch den recht alten Ort, der sich von Kagbeni nicht wirklich unterscheidet, mit den ehemals weiß getünchten, flachen Häusern und engen Gassen. Immer wieder sitzen Menschen in Gruppen zusammen und reden und spinnen dabei Wolle mit Handspindeln. Wir werden stets freundlich begrüßt und Dawa spricht fließend mit allen, ich erkenne mittlerweile, wenn er tibetisch spricht. Als die Sonne untergeht wird es schnell kalt, wir gehen zurück ins Hotel – und jetzt fühlt sich die Temperatur in den Räumen schon ganz anders an. Nirgends sehe ich einen Ofen, wie das im bekannten Langtang-Tamang Gebiet der Fall ist, zumindest in den Speiseräumen gibt es immer eine Heizmöglichkeit. Hier nicht. Keine Bäume, nur  Dung, da heizt man nicht für Wärme, ich glaube ich hatte es schon einmal erwähnt. Also wechsle ich für’s Abendessen in meine dicke Merino-Wäsche und erscheine mit allen 3 Jacken übereinandergezogen im Speiseraum. Die Nepali sehen genauso aus, ich bin also nicht die Einzige, der kalt ist! Die Nacht wird, vorsichtig gesagt, kein Spaß. Ich stecke in Merino in meinem Daunenschlafsack mit 2 Decken drüber, die aber auch alle kalt sind. Weil ich eiskalt bin wärme ich wohl die Decken nicht richtig auf, dass die Matratze von unten alle Kälte ausstrahlt, die sie über den Winter sammeln konnte, hilft noch viel weniger. Irgendwann friere ich mich in den Schlaf. Wer hatte diese Idee von Mustang?? Aber ich lasse den Tag revue passieren und bin sehr, sehr glücklich. Zitternd-glücklich. Vor Kälte zitternd. Am nächsten Morgen fragt Dawa, wie kalt mir war. Ich gucke nur, er lacht, er hat auch gefroren. ‘I got Jeep for today’ Oh super, wir fahren also in der Gegend rum und schauen uns ein Felsenkloster an, das mich ein wenig an die Felshöhlen in Qumran in Israel erinnert. Hoch obern thronen verschiedene Felshöhlen, die Eremiten als Behausung gedient haben, vor vielen hundert Jahren. Wir klettern hoch, dann geht es über Leitern weiter. Ich bin nicht übermäßig ängstlich und habe auch keine Höhenangst, aber das hier ist echt nicht so ohne. Ich klettere weiter und wundere mich wieder, auf was für Ideen Menschen kommen können. Hier zu wohnen ist doch schon abgeschieden und beschwerlich genug, muss ich mich dann auch noch in Höhlen verkriechen? Offensichtlich muss ich das. Wir fahren weiter, ein Felskloster und immer wieder Landschaft. Nachmittags besichtigen wir noch 2 Klöster in Lomanthang, die beide alt und schön sind und gut riechen. Ein Lama weist uns den Weg und ich folge der ausgestreckten Hand, da reißt mich Dawa recht unsanft am Ärmel zurück. ‘Lama goes first!’ OK, dann lasse ich den ca 15jährigen Jungen vor, Entschuldigung.

Auf dem Weg zurück ins Hotel kommen wir wieder an vielen fröhlich schwätzenden Menschen vorbei, die sich immer in windstillen, sonnigen Ecken zusammenfinden, Dawa hält immer an für ein Schwätzchen. Ich nutze die Gelegenheit und wende mich stets den Tieren zu, die hier so zur Verfügung stehen.Viele Kühe und Hunde, so manch ein Pferd. Dawa unterbricht immer sein Gespräch ‘Don’t touch dog Simone, they can bite’ Nö, dieser hier macht die Ohren runter und wedelt mit dem Schwanz, der beißt mich nicht. Vorsichtig nähere ich mich streichele dem schwarzen Tier über die Nase, den Rest vom Fell mach ich nicht so recht anfassen, da versinkt man zentimetertief in Fell, Dreck und Parasiten.  Aber die Nase gestreichelt zu bekommen findet der Hund schon mega und wedelt noch mehr, da kommt Dawa eilig an ‘We are going’. Ok. Beim nächsten Stop freunde ich mich mit einer Kuh an, sie hat sehr schöne Augen ‘Simone, they can hurt you with their horns, stay away’. Aber die guckt ganz neugierig und hält mir ihren Kopf hin. ‘We are going, there is local tea shop’ OK, einen Milchtee könnte ich jetzt vertragen. Als wir gezahlt haben läuft draußen eine Herde Pferde vorbei. ‘Simone, no, they kick’ Nein, tun sie nicht wenn sie so gucken, schau mal wie hübsch – Dawa reißt der sehr dehnbare Geduldsfaden und zieht mich weg. ‘Why don’t you listen, these are not German animals, they are half wild. They kick and bite and use their horns, they don’t like us’ Aber mich mögen sie, und wenn nicht, dann sieht man das doch. Das Thema Tiere bleibt ein Streitpunkt zwischen uns und ich seile mich während des Trips immer wieder ab, häufig mit der Anweisung, nicht die Augen zu verdrehen.
Abends besprechen wir beim Essen, wie es weiter geht. Den Rückweg schaffe ich nicht alleine, Gepäck, die Höhenlage und die letzten beiden Etappen, die über 20-30km gehen und keine Möglichkeit der Einkehr zwischendrin haben, das kann ich wirklich nicht. ‘We will go first on our own, then for last two days we will get horse’ Oh ja, ein Pferd, wie toll. Dawa guckt genervt. ‘You ride, don’t touch!’ Hm, we will see.